Ein Kapazitätsmarkt für eine klimaneutrale und sichere Stromversorgung

Durch die zu­neh­men­de Elek­tri­fi­zie­rung von Pro­zes­sen und dem gleich­zei­ti­gen Aus­stieg aus Atom- und Koh­le­ener­gie steht der Strom­markt vor He­raus­for­de­run­gen: Die Spit­zen­last, al­so die not­wen­di­ge ge­si­cher­te Leis­tung zum Zeit­punkt der höchs­ten Strom­nach­fra­ge steigt, wäh­rend die ge­si­cher­te Leis­tung bei der Strom­er­zeu­gung sinkt. Bis zum Jahr 2030 wer­den mehr als 30 Gi­ga­watt (GW) an ge­si­cher­ter Leis­tung vom Netz ge­hen. Al­lein im Zeit­raum 2020–2022 wur­den 8 GW vom Netz ge­nom­men. Gleich­zei­tig ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Spit­zen­last auf rund 98 GW an­steigt.

Stromlücke bis 2030

Der Zu­bau an Ka­pa­zi­tä­ten zur Strom­er­zeu­gung, die auch dann zur Ver­fü­gung ste­hen, wenn der Wind nicht weht und die Son­ne nicht scheint, wird selbst un­ter op­ti­mis­ti­scher An­nah­me ver­mut­lich nicht aus­rei­chen: 2031 wer­den wei­ter­hin min­des­tens 15 Gi­ga­watt an ge­si­cher­ter Leis­tung feh­len. Das zeigt das Sze­na­rio der Stu­die "Markt­de­sign für ei­nen si­che­ren, wirt­schaft­li­chen und de­kar­bo­ni­sier­ten Strom­markt", die das Be­ra­tungs­un­ter­neh­men enervis im Auf­trag von Zukunft Gas durch­ge­führt hat. Ak­tu­ell gibt es kei­ne In­ves­ti­ti­ons­an­rei­ze, die­se Lü­cke zu schlie­ßen.

Netzstabilität und Versorgungssicherheit werden derzeit nicht vergütet

Die Zu­ver­läs­sig­keit in der Strom­ver­sor­gung ist für un­se­re Wirt­schaft und In­dus­trie, aber auch für das täg­li­che Le­ben ab­so­lut un­ver­zicht­bar. Es muss drin­gend in den not­wen­di­gen Zu­bau von Er­zeu­gungs­ka­pa­zi­tä­ten wie was­ser­stoff­fä­hi­ge Gas-Kraft­wer­ke in­ves­tiert wer­den, an­dern­falls kann ei­ne si­che­re Strom­ver­sor­gung un­ter Um­stän­den nur mit auf­wen­di­gen und teu­ren Re­dis­patching-Maß­nah­men – Ein­grif­fe in die Er­zeu­gungs­leis­tung von Kraft­wer­ken, um Lei­tungs­ab­schnit­te vor ei­ner Über­las­tung zu schüt­zen – durch die Netz­be­trei­ber ge­währ­leis­tet wer­den.

Die Eu­ro­pä­i­sche Union hat ei­nen ge­mein­sa­men Ener­gie­bin­nen­markt, die na­ti­o­na­len Märk­te un­ter­schei­den sich den­noch in zwei grund­sätz­li­che Sys­te­me: den Energy-Only-Markt (EOM) und den Ka­pa­zi­täts­markt.

Ein Groß­teil des Strom­mark­tes in Deutsch­land ist ein Energy-Only-Markt, das heißt: Nur tat­säch­lich er­zeug­te Strom­men­gen kön­nen ge­han­delt wer­den. Der Strom­preis bil­det sich aus­schließ­lich aus An­ge­bot und Nach­fra­ge der tat­säch­li­chen Strom­er­zeu­gung. An­bie­ter von Ka­pa­zi­tä­ten er­wirt­schaf­ten al­so nur Ein­nah­men, wenn ih­re an­ge­bo­te­ne Ka­pa­zi­tät ab­ge­ru­fen wird. Das Vor­hal­ten von Re­ser­ve­ka­pa­zi­tä­ten, die bei Be­darf zur Ver­fü­gung ge­stellt wer­den kön­nen, wird in die­sem Strom­markt­de­sign nicht ver­gü­tet. Die In­ves­ti­ti­on in den Bau z. B. neu­er Gas-Kraft­wer­ke müss­te sich über we­ni­ge Stun­den im Jahr rech­nen, al­so wenn der Strom­preis ex­trem in die Hö­he schießt. Das setzt ei­ne ho­he Ri­si­ko­be­reit­schaft bei In­ves­to­ren vo­raus. Da­bei sind Gas-Kraft­wer­ke als re­gel­ba­re Er­zeu­gungs­an­la­gen da­zu in der La­ge, Ka­pa­zi­tä­ten vor­zu­hal­ten und an­zu­bie­ten, die zur Ab­si­che­rung von Eng­pass­si­tu­a­ti­o­nen, zum Bei­spiel bei ei­ner Dun­kel­flau­te er­for­der­lich sind.

Cover der aktuellen Ausgabe des Gasmagazins

Gasmagazin, Ausgabe 1/2024

Wie sieht das Strom­system un­se­rer Zu­kunft aus? Und wel­che Rol­le spielt da­bei die Kraft­werks­stra­te­gie? Die­sen Fra­gen sind wir in der Ti­tel­ge­schich­te des ak­tu­el­len g-Ma­ga­zins nach­ge­gan­gen. Klar ist: Wir be­nö­ti­gen was­ser­stoff­fä­hi­ge Kraft­wer­ke, um künf­tig auch ohne Koh­le­kraft­wer­ke in Zei­ten von Dun­kel­flau­ten die Strom­ver­sor­gung zu si­chern. Das Was­ser­stoff­kern­netz ist ein zen­tra­ler Bau­stein, da­mit der Was­ser­stoff dann auch zu den Kraft­wer­ken kommt. "Wir lö­sen das Henne-Ei-Prob­lem", sagt Dr. Philipp Steinberg, Lei­ter der Ab­tei­lung Wirt­schafts­sta­bi­li­sie­rung und Ener­gie­si­cher­heit im Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Kli­ma­schutz, da­zu in un­se­rem In­ter­view. Wich­tig ist der Ener­gie­trä­ger vor al­lem bei der De­kar­bo­ni­sie­rung der In­dus­trie. So auch für den Pa­pier­her­stel­ler RDM Arnsberg. In un­se­rer Re­por­tage er­fah­ren Sie mehr über des­sen Weg zur Kli­ma­neu­tra­li­tät.

Maßnahmen für mehr Versorgungssicherheit intensivieren

Für den Aus­bau der ge­si­cher­ten Leis­tung schafft die Bun­des­re­gie­rung An­rei­ze. So er­wei­ter­te sie et­wa im Oster­pa­ket un­ter an­de­rem die Aus­schrei­bung von An­la­gen für die Er­zeu­gung von Strom aus grü­nem Was­ser­stoff um 4,4 GW von 2023 bis 2026 so­wie in­no­va­ti­ve Kon­zep­te mit was­ser­stoff­ba­sier­ter Strom­spei­che­rung um 4,4 GW von 2023 bis 2028. Doch reicht dies nicht aus, um den not­wen­di­gen Zu­bau an­zu­rei­zen und die ent­ste­hen­de Ver­sor­gungs­lü­cke zu schlie­ßen.

Der be­ste­hen­de Energy-Only-Markt setzt kei­ne aus­rei­chen­den In­ves­ti­ti­ons­sig­na­le, um den Bau drin­gend be­nö­tig­ter re­gel­ba­rer Leis­tung an­zu­rei­zen. Um die ak­tu­ell ho­he Qua­li­tät der Strom­ver­sor­gung auch in Zei­ten der Höchst­last bei­zu­be­hal­ten, müs­sen aus­rei­chend Er­zeu­gungs­ka­pa­zi­tä­ten vor­han­den sein.

Hohe Zuverlässigkeit der Stromversorgung

Der SAIDI zeigt: Die durchschnittliche Versorgungsunterbrechung in Deutschland ist auf einem niedrigen Niveau und ein Indiz für die Versorgungszuverlässigkeit.

Quelle: BNetzA

Ausbleibende Kraftwerksstrategie bringt Kohleausstieg in Gefahr

Bis 2030 müs­sen 20 bis 30 leis­tungs­fä­hi­ge Gas­-Kraft­wer­ke ge­baut wer­den, die auch mit Was­ser­stoff be­trie­ben wer­den kön­nen, da­mit Deutsch­land aus der Koh­le aus­stei­gen kann – ohne den Wirt­schafts­stand­ort zu ge­fähr­den.

Denn mit dem Koh­le­aus­stieg ge­hen dem Ener­gie­sys­tem re­le­van­te Men­gen an ge­si­cher­ter Leis­tung ver­lo­ren. Um den Zu­bau der not­wen­di­gen Kraft­wer­ke zu ge­währ­leis­ten, braucht es die ent­spre­chen­den wirt­schaft­li­chen An­rei­ze für In­ves­to­ren, in neue Gas­-Kraft­wer­ke zu in­ves­tie­ren. An­ge­sichts der be­vor­ste­hen­den Pla­nungs-, Ge­neh­mi­gungs- und Bau­zei­ten für neue Kraft­wer­ke drängt die Zeit: Es dau­ert in­klu­si­ve Ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren min­des­tens fünf bis sechs Jah­re, bis der ers­te Strom er­zeugt wer­den kann – und die Zeit läuft erst ab dem Zeit­punkt ei­nes ent­spre­chen­den Rechts­rah­mens. Das Ziel der Kli­ma­neu­tra­li­tät 2045 und der an­ge­streb­te Koh­le­aus­stieg 2030 ma­chen da­her ei­ne Kraft­werks­stra­te­gie zu ei­nem dring­li­chen Kern­the­ma der Kli­ma- und Ener­gie­po­li­tik.

Ers­te Eck­punk­te wur­den be­reits im Au­gust 2023 vom Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um vor­ge­stellt: 8,8 GW an rei­nen Was­ser­stoff-Kraft­wer­ken, wei­te­re 15 GW an Was­ser­stoff­-Kraft­wer­ken, die vo­rü­ber­ge­hend mit Erd­gas be­trie­ben wer­den kön­nen – und zehn die­ser 15 GW schon bis 2026. Gleich­zei­tig soll bis da­hin bis zu 80 Prozent des Strom­ver­brauchs be­reits über er­neu­er­ba­re Ener­gien ge­deckt wer­den – auch das be­nö­tigt wei­te­re Be­mü­hun­gen in den Aus­bau der Er­neu­er­ba­ren, die im 1. Halbjahr 2024 ei­nen An­teil von 57 Pro­zent am Bruttostromverbrauch er­reich­ten. So soll die Strom­nach­fra­ge ab 2030 oh­ne Koh­le be­frie­digt wer­den.

Al­ler­dings fehlt wei­ter­hin ein de­tail­lier­tes Kon­zept, das in­ner­halb der Re­gie­rung ab­ge­stimmt ist und das von der EU-Kom­mis­si­on ge­bil­ligt wur­de. Im Au­gust 2024 stell­te das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Kli­ma­schutz ei­nen hy­bri­den An­satz als Strom­markt­design der Zu­kunft vor. Er soll Ele­men­te ei­nes zen­tra­len und eines de­zen­tra­len Ka­pa­zi­täts­markts kom­bi­nie­ren. Das ist auf den ers­ten Blick at­trak­tiv, da es sehr vie­le In­te­res­sens­grup­pen ab­deckt. In der Pra­xis wird die­ses Mo­dell aber schwer um­setz­bar, in­ef­fek­tiv und feh­ler­an­fäl­lig sein. Denn die Kom­bi­na­ti­on aus lan­gen Vor­lauf­zei­ten für zen­tra­le Aus­schrei­bun­gen und kurz­fris­tig han­del­ba­ren Zer­ti­fi­ka­ten im de­zen­tra­len Teil schafft re­gu­la­to­ri­sche Un­si­cher­hei­ten und er­höht das Ri­si­ko von Preis­schwan­kun­gen, wie auch ak­tu­el­le Ana­ly­sen zei­gen. Zu­dem ist die bei­hil­fe­recht­li­che Ge­neh­mi­gung ei­nes voll­stän­dig neuen Mo­dells durch die EU-Kom­mis­si­on voll­kom­men of­fen. Ge­ra­de die­se Un­si­cher­heit schreckt In­ves­to­ren ab, statt sie zu er­mu­ti­gen.

Was tun? Statt­des­sen soll­te auf eine Lö­sung ge­setzt wer­den, die in der EU be­reits eta­bliert wur­de, die kei­ne Haus­halts­mit­tel er­for­dert und die volks­wirt­schaft­lich güns­ti­ger ist als das vor­ge­schla­ge­ne Kon­zept: Ein um­fas­sen­der Ka­pa­zi­täts­markt, der die re­gel­ba­ren Kraft­werks­ka­pa­zi­tä­ten in den Wett­be­werb stellt. Durch ein ge­schick­tes Design ei­nes Ka­pa­zi­täts­mark­tes las­sen sich un­ter­schied­li­che Tech­no­lo­gien und ge­wünsch­te Stand­or­te an­rei­zen. Vie­le Bei­spie­le aus dem Aus­land, wie in Bel­gien, zei­gen die Wirk­sam­keit und die Kos­ten­vor­tei­le ei­ner markt­ba­sier­ten Lö­sung ge­gen­über der in Deutsch­land prä­fe­rier­ten Ein­zel­aus­schrei­bun­gen. Die ein­ge­tre­te­ne Ver­zö­ge­rung im Um­bau des Kraft­werks­parks lie­ße sich durch die­sen neu­en An­satz ver­mut­lich nicht auf­ho­len, al­ler­dings be­steht nun die Chan­ce für ei­nen Neu­start. Die­ser könn­te es er­mög­li­chen, die Zie­le si­cher zu er­rei­chen und da­bei die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger nicht über Ge­bühr zu be­las­ten.

Die Ab­schal­tung der Koh­le­kraft­wer­ke ist bis 2030 kaum noch rea­li­sier­bar. Denn für die da­für not­wen­di­gen neuen, was­ser­stoff­fä­hi­gen Gas­-Kraft­wer­ke muss mit ei­ner Bau­zeit von fünf bis sechs Jah­ren ge­rech­net wer­den.

Dr. Timm Kehler, Vorstand Zukunft Gas

Vorteil Kapazitätsmarkt

Durch die Ein­füh­rung von Me­cha­nis­men ei­nes Ka­pa­zi­täts­mark­tes kann ein deut­lich ef­fek­ti­ve­rer Zu­bau an­ge­reizt wer­den. Strom­er­zeu­gungs­ka­pa­zi­tä­ten kön­nen z. B. aus­ge­schrie­ben wer­den, die Prei­se wür­den sich über den freien Wett­be­werb re­geln. Der Ka­pa­zi­täts­markt bie­tet ein ho­hes Maß an Ver­sor­gungs- und Pla­nungs­si­cher­heit: Er ver­gü­tet auch vor­ge­hal­te­ne Re­ser­ve­ka­pa­zi­tä­ten, die nur dann Ener­gie pro­du­zie­ren, wenn die­se tat­säch­lich be­nö­tigt wer­den.

Po­si­ti­ver Ne­ben­ef­fekt: Un­ter Zu­hil­fe­nah­me ge­ziel­ter Steu­e­rungs­ele­men­te geht ei­ne zu­neh­men­de De­kar­bo­ni­sie­rung der ge­si­cher­ten Leis­tung ein­her. Aus Kli­ma­schutz­pers­pek­ti­ve bie­tet dies ei­nen deut­li­chen Vor­teil ge­gen­über der stra­te­gi­schen Re­ser­ve in wel­cher fos­sil be­trie­be­ne Kraft­wer­ke über Jah­re vor­ge­hal­ten wer­den, oh­ne bei den Be­trei­bern In­ves­ti­ti­o­nen zur Emis­si­ons­min­de­rung an­zu­rei­zen.

Kapazitätsmärkte in Europa

Ka­pa­zi­täts­me­cha­nis­men ha­ben sich in ei­ni­gen Län­dern be­reits seit län­ge­rem be­währt. In­ner­halb Eu­ro­pas setzt sich da­bei vor al­lem der um­fas­sen­de Ka­pa­zi­täts­markt durch, so zum Bei­spiel in Bel­gien, Groß­bri­tan­nien, Ir­land, Ita­lien und Po­len. In die­sem wird der Be­darf an ge­si­cher­ter Leis­tung fest­ge­legt und zen­tral, zum Bei­spiel durch Netz­be­trei­ber, be­schafft. Al­le Strom­er­zeu­ger kön­nen an den Be­schaf­fungs­aus­schrei­bun­gen teil­neh­men.

Im Ver­ei­nig­ten Kö­nig­reich wur­den mit Ein­fü­hrung ei­nes um­fas­sen­den Ka­pa­zi­täts­mark­tes im Jahr 2014 zu­sätz­li­che An­rei­ze zur Leis­tungs­be­reit­stel­lung im Strom­markt ein­ge­führt, um von den Über­tra­gungs­netz­be­trei­bern an­ti­zi­pier­ten Ka­pa­zi­täts­eng­päs­sen vor­zu­beu­gen.

Der bel­gi­sche Ka­pa­zi­täts­markt ist ei­ner der jüngs­ten in Eu­ro­pa und wur­de kon­zi­piert als Ant­wort so­wohl auf den ge­plan­ten Kern­ener­gie­aus­stieg bis 2025 als auch auf Kraft­werks­still­le­gun­gen in an­gren­zen­den Staa­ten.

In Frank­reich ver­traut man seit 2016 auf ei­ne de­zen­tra­le Leis­tungs­ver­pflich­tung: Zwi­schen An­bie­ter und Nach­fra­ger von Ka­pa­zi­tä­ten be­steht ein Han­del mit Zer­ti­fi­ka­ten, bei wel­chem sich die Nach­fra­ge­sei­te je nach Bei­trag zur Spit­zen­last ver­pflich­tet, ein Jahr im Vo­raus aus­rei­chend Ka­pa­zi­tä­ten zu er­wer­ben.

Es gibt ver­schie­de­ne Ar­ten von Ka­pa­zi­täts­me­cha­nis­men, die von Re­gu­lie­rungs­be­hör­den und Ener­gie­markt­be­trei­bern ein­ge­setzt wer­den, um die Ver­sor­gungs­si­cher­heit zu ge­währ­leis­ten. Sie ge­hen weit über flan­kie­ren­de Maß­nah­men hi­naus, mit de­nen ak­tu­ell ver­sucht wird, Un­gleich­ge­wich­ten zwi­schen Er­zeu­gung und Ver­brauch im Strom­markt vor­zu­beu­gen.

  • Stra­te­gi­sche Re­ser­ve: Ei­ne be­stimm­te Men­ge an Kraft­werks­ka­pa­zi­tät wird als Re­ser­ve vor­ge­hal­ten, die nur in Not­fäl­len ge­nutzt wird, z. B. wenn die Nach­fra­ge nach Strom das An­ge­bot über­steigt. Die vor­ge­hal­te­nen Re­ser­ve­kraft­wer­ke ste­hen dem Strom­markt nicht zur Ver­fü­gung. Seit dem Win­ter 2020/21 flan­kiert Deutsch­land den EOM au­ßer­halb des Mark­tes mit ei­ner stra­te­gi­schen Re­ser­ve.
  • Ka­pa­zi­täts­ver­stei­ge­rung: Die Strom­ver­sor­gung wird über ei­ne Auk­ti­on or­ga­ni­siert, bei der Be­trei­ber von Kraft­wer­ken ei­ne be­stimm­te Men­ge an Ka­pa­zi­tät an­bie­ten kön­nen, die von Strom­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men er­wor­ben wird. Die ge­sam­te vor­ge­hal­te­ne Ka­pa­zi­tät wird ver­gü­tet.
  • Ka­pa­zi­täts­markt: An ei­nem ei­ge­nen Markt kön­nen Strom­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men Ka­pa­zi­täts­zer­ti­fi­ka­te kau­fen, um si­cher­zu­stel­len, dass sie ge­nü­gend Strom­ka­pa­zi­tät ha­ben, um die Nach­fra­ge zu de­cken. Die ge­sam­te vor­ge­hal­te­ne Ka­pa­zi­tät wird ver­gü­tet.
  • Ver­trags­me­cha­nis­men: Strom­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men schlie­ßen mit Be­trei­bern von Kraft­wer­ken Ver­trä­ge ab, um be­stimm­te Ka­pa­zi­täts­men­gen für ei­nen be­stim­mten Zeit­raum zu si­chern. Die ge­sam­te vor­ge­hal­te­ne Ka­pa­zi­tät wird ver­gü­tet.
  • An­reiz­me­cha­nis­men: Es wer­den fi­nan­zi­el­le An­rei­ze pro in­stal­lier­ter Ein­heit Leis­tung in Form von Ka­pa­zi­täts­zah­lun­gen oder re­gu­la­to­ri­scher Vor­ga­be ge­schaf­fen, die da­rauf ab­zie­len, die In­ves­ti­ti­o­nen in den Aus­bau von Strom­ka­pa­zi­tä­ten zu för­dern.

Wir wol­len ei­nen Wett­be­werb zwi­schen den Tech­no­lo­gien um das Gut der Ver­sor­gungs­si­cher­heit. Dann kann der Markt über ein ef­fi­zien­tes Tech­no­lo­gie­port­fo­lio ent­schei­den.

Dr. Timm Kehler, Vorstand Zukunft Gas

Der Energy-only-Markt allein reicht nicht mehr aus

Die An­pas­sung des be­ste­hen­den Strom­markt­de­signs ist längst über­fäl­lig. Die Kom­bi­na­ti­on aus Ka­pa­zi­täts­re­ser­ve und EOM funk­ti­o­nier­te in der Ver­gan­gen­heit, da zu je­dem Zeit­punkt aus­rei­chend Ka­pa­zi­tä­ten zur Ver­fü­gung stan­den. Künf­tig wird Deutsch­land ver­mehrt auf fle­xi­bel ein­setz­ba­re Ener­gien wie Pump­spei­cher oder H2-ready Gas-Kraft­wer­ke an­ge­wie­sen sein. Durch den Ein­satz elek­tri­scher Wär­me­pum­pen und den Aus­bau der Elek­tro­mo­bi­li­tät wird der Strom­be­darf vor al­lem wäh­rend der Heiz­pe­ri­o­de so­wie in den Mor­gen- und Abend­stun­den an­stei­gen. Bei Käl­te­wel­len oder Dun­kel­flau­ten müs­sen ent­spre­chen­de Back-up-Ka­pa­zi­tä­ten vor­han­den sein, auch um ei­ne Über­las­tung des Strom­net­zes zu ver­mei­den.

Das Prin­zip Energy-Only-Markt und Ka­pa­zi­täts­re­ser­ve mit Ver­mark­tungs- und Rück­kehr­ver­bot wird künf­tig nicht mehr aus­rei­chen. Die ge­si­cher­te Leis­tung wür­de zum Eng­pass wer­den. Mit Blick auf die Ver­sor­gungs­si­cher­heit ist der Me­cha­nis­mus der stra­te­gi­schen Re­ser­ve zu we­nig ef­fek­tiv, die Men­ge wird auf ad­mi­nis­tra­ti­ver Ebe­ne ge­schätzt und ist nicht in den Strom­markt in­te­griert.

Es ist un­er­läss­lich, dass vor­ge­hal­te­ne Strom­ka­pa­zi­tä­ten künf­tig ver­gü­tet wer­den. Die Ein­füh­rung ei­nes um­fas­sen­den Ka­pa­zi­täts­mark­tes in Deutsch­land wür­de deut­li­che Vor­tei­le mit sich brin­gen, denn er ist ein wich­ti­ger Me­cha­nis­mus für Ener­gie­wen­de und Ver­sor­gungs­si­cher­heit. Ein brei­tes Port­fo­lio an ver­schie­de­nen Tech­no­lo­gien kann für ein re­si­lien­tes Ener­gie­sys­tem sor­gen. Der Ka­pa­zi­täts­markt er­mög­licht den Ener­gie­er­zeu­gern, ih­re In­ves­ti­ti­o­nen zu re­fi­nan­zie­ren und sorgt da­für, dass die Strom­er­zeu­gungs­ka­pa­zi­tät stets aus­rei­chend ist, um die Nach­fra­ge der Ver­brau­chen­den zu de­cken.

Wir müssen jetzt handeln

Um die Ver­sor­gungs­si­cher­heit im Zu­ge der Trans­for­ma­ti­on zur Kli­ma­neu­tra­li­tät si­cher­zu­stel­len, bleibt für die Ein­füh­rung des um­fas­sen­den Ka­pa­zi­täts­mark­tes nicht mehr viel Zeit: Zwi­schen Ein­füh­rung ent­spre­chen­der Me­cha­nis­men und der Durch­füh­rung ei­ner ers­ten Auk­ti­on ver­ge­hen in der Re­gel meh­re­re Jah­re. In Bel­gien dau­er­te die­ser Pro­zess über sie­ben Jah­re. Deutsch­land wird hier deut­lich schnel­ler han­deln müs­sen, wenn es da­rum geht, für Ka­pa­zi­täts­an­bie­ter ein wirt­schaft­li­ches Ge­schäfts­mo­dell an­zu­bie­ten und recht­zei­tig aus­rei­chend Zu­bau an­zu­rei­zen. Da­mit dies Aus­sicht auf Er­folg hat, müs­sen ers­te kla­re po­li­ti­sche Wei­chen­stel­lun­gen be­reits im Jahr 2023 er­fol­gen. Pa­ral­lel zum Stake­holder-Pro­zess im Rah­men der Platt­form Kli­ma­neu­tra­les Strom­sys­tem der Bun­des­re­gie­rung und des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens soll­te be­reits ei­ne Be­rech­nung zur "Ressource Adequacy" (ei­ne stan­dar­di­sier­te Ana­ly­se der ENTSO-E, wel­che die Sys­tem­sta­bi­li­tät in ei­nem 10-Jah­res­ho­ri­zont ana­ly­siert) so­wie ei­ne Kon­sul­ta­ti­on der Nach­bar­län­der und der EU-Kom­mis­si­on vor­ge­nom­men wer­den. An­hand des Ver­laufs des bel­gi­schen Ein­füh­rungs­pro­zes­ses kön­nen ins­be­son­de­re die­se Vor­gän­ge als be­son­ders zeit­in­ten­siv iden­ti­fi­ziert wer­den. So­fern ei­ne Ge­neh­mi­gung er­folg­reich ist, er­folgt die de­tail­lier­te Aus­ge­stal­tung des Aus­schrei­bungs­de­signs.

In der an­schlie­ßen­den Prä­qua­li­fi­ka­ti­ons­pha­se müs­sen die Ka­pa­zi­täts­an­bie­ter re­le­van­te In­for­ma­ti­o­nen für die Zu­las­sung zur Aus­schrei­bung an­ge­ben. Da­zu zäh­len et­wa der Stand­ort, in­stal­lier­te Ka­pa­zi­tät so­wie ge­tä­tig­te oder ge­plan­te In­ves­ti­ti­o­nen. Un­ter op­ti­ma­len Be­din­gun­gen könn­te ei­ne ers­te Ka­pa­zi­täts­aus­schrei­bung in Deutsch­land bei gleich­zei­ti­gen Kon­sul­ta­ti­o­nen und pa­ral­le­lem Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren be­reits im Jahr 2026 statt­fin­den. An­bie­ter neu­er Ka­pa­zi­tä­ten müss­ten spä­tes­tens dann mit der Pla­nung be­gin­nen: Bei ei­ner Vor­lauf­zeit von un­ge­fähr vier Jah­ren zwi­schen Ka­pa­zi­täts­auk­ti­on und Lie­fer­start lä­ge der Zeit­raum für die Be­reit­stel­lung ge­si­cher­ter Leis­tung knapp vor dem ge­plan­ten Aus­stieg aus der Koh­le En­de 2030.

Im Rah­men der Platt­form Kli­ma­neu­tra­les Strom­sys­tem, wel­che ein neu­es Strom­markt­de­sign er­ar­bei­ten und wett­be­werb­lich tech­no­lo­gie­of­fe­ne Ka­pa­zi­täts­me­cha­nis­men prü­fen soll, ist da­her die ge­naue Be­trach­tung und Re­flek­ti­on des Mo­dells ei­nes um­fas­sen­den Ka­pa­zi­täts­markt­me­cha­nis­mus zu emp­feh­len. Wenn die Platt­form am ur­sprüng­lich kom­mu­ni­zier­ten Zeit­plan der Er­ar­bei­tung kon­kre­ter Vor­schlä­ge bis Mit­te 2023 fest­hal­ten kann und di­rekt im An­schluss das Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren be­ginnt, könn­te der Zu­bau noch recht­zei­tig ge­lin­gen, um die 2031 dro­hen­de Strom­lü­cke ab­zu­wen­den.

Expertenthema

Kapazitätsmarkt für die Energiewende

Das deut­sche Ener­gie­sys­tem be­fin­det sich in ei­ner nie da ge­we­se­nen Trans­for­ma­ti­on. Der Aus­stieg aus Koh­le und Atom bei gleich­zei­tig wach­sen­dem Strom­be­darf stellt die Netz­sta­bi­li­tät und Ver­sor­gungs­si­cher­heit auf die Pro­be. Wie ein um­fas­sen­der Ka­pa­zi­täts­markt Deutsch­land un­ter­stützt, kli­ma­neu­tral zu wer­den, le­sen Sie in un­se­rer Bro­schü­re.

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