Martin Lawin ist Managing Partner und Mitgründer der HKCF Corporate Finance GmbH. Das Unternehmen ist ein führender M&A- und Finanzierungsberater mit Fokus auf die Energie- und Infrastrukturwirtschaft.
1. Kurz und knapp zusammengefasst: Was genau ist die EU-Taxonomie und was soll sie bewirken?
Die Taxonomie ist ein Klassifikationssystem in dem auf Basis wissenschaftlicher und quantitativ messbarer Kriterien definiert ist, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als ökologisch nachhaltig gelten. Die EU-Kommission verfolgt mit ihr das Ziel Kapitalflüsse vermehrt in nachhaltige Aktivitäten zu lenken.
2. HKCF Corporate Finance GmbH hat sich auf die Energie- und Infrastrukturwirtschaft spezialisiert und berät insbesondere auch Unternehmen auf kommunaler Ebene. Inwiefern ist das Thema der EU-Taxonomie auf dieser Ebene bereits ein Thema?
Nachhaltigkeitsaspekte rücken bei unseren Mandaten zunehmend in den Fokus der Kapitalgeber. War es in der Vergangenheit eher ein Marketinginstrument, wird Nachhaltigkeit vermehrt zum wichtigen Bestandteil der strategischen Ausrichtung. Bei komplexen Finanzierungsprozessen werden externe Gutachten, u.a. zur Bewertung der Nachhaltigkeit des Finanzierungsprojekts eingefordert, immer verbunden mit administrativem und finanziellem Aufwand für Unternehmen. Bisher fehlen hier Praxiserfahrungen und anerkannte Marktstandards und Investoren suchen nach objektiven Orientierungshilfen, sodass der EU-Taxonomie erwartungsgemäß ein großes Gewicht zukommen wird.
3. Welche Auswirkungen wird die EU-Taxonomie auf Investitionen in Gaskraftwerke und die Gasinfrastruktur haben?
Finanzierungsinstitute ziehen sich bereits vermehrt aus Projekten mit jeglichen fossilen Energieträgern zurück, so u.a. die Europäische Investitionsbank (EIB) bis Ende 2021, sicherlich mit einiger Signalwirkung. Dieser Trend könnte durch den aktuellen, immer noch restriktiven Entwurf der EU-Taxonomie verstärkt werden. Die Finanzierung von Gaskraftwerken wäre nur unter enggefassten Bedingungen möglich und zulässig. Gleiches würde für geplante Investitionen in Gasinfrastruktur gelten. Ein ggf. notwendiger Ausbau der Gasinfrastruktur im Kontext der Energiewende stünde diesen Finanzierungsrestriktionen gegenüber. In der Konsequenz wäre ein zentraler Faktor auf dem Weg in eine Wasserstoffzukunft in Frage gestellt. Aktuell ist nicht auszuschließen, dass sich Kapitalgeber aus der Finanzierung von Gaskraftwerken und Gasinfrastruktur zurückziehen oder sich hohe Margenaufschläge ergeben. Letztendlich wäre dies nicht ohne Konsequenz für eine nachhaltige Entwicklung einer zirkulären und stabilen Industrie und Energiewirtschaft in Europa.